Michael Lühmann: Rede zum Schutz von Einsatz- und Rettungskräften (Aktuelle Stunde SPD)

TOP 12a: „Schutz von Einsatz- und Rettungskräften“ (Aktuelle Stunde SPD)

- Es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleg:innen,

Ja, wir müssen generell über den Schutz von Einsatz- und Rettungskräften reden. Und um dies unmissverständlich voranzustellen, wir verurteilen die jüngsten Angriffe im Kontext von Silvester aufs Schärfste. Es kann und darf nicht sein, dass Rettungsdienste, Feuerwehren oder Polizei zu Angriffszielen werden, egal in welchem Setting.

Denn auch das gehört zur Wahrheit dazu: Gewalt gegen Rettungskräfte ist kein Silvester-Phänomen und vor allem keines, dass sich für eine ideologisch aufgeladene Integrationsdebatte eignet. Das geben weder die Zahlen noch der Forschungsstand her.
In meiner Zeit an der Uni diskutierten wir schon vor vielen Jahren Gewalt gegen Einsatzkräfte im Kontext urbaner Gewalt. Und da sprachen wir dann über Mitvierziger, bewusst nicht gegendert, die Einsatzkräfte angriffen.

Was also ist zu tun? Zum einen, nochmals, stellen wir uns glasklar hinter die Menschen, die tagtäglich unser Zusammenleben absichern – Polizist:innen, Feuerwehrkamerad:innen, Rettungssanitäter:innen, Notärzt:innen. Jede und jeder einzelne verdient unseren Schutz und unseren Respekt und unseren Dank.

Darüber hinaus müssen wir über Entstehungsbedingungen solcher Gewalt sprechen: Über situative und räumliche Faktoren. Schwierige Wohnverhältnisse, konzentrierte Armut & Perspektivlosigkeit, die Kipp-Punkte für Gewalt absenken, und dann in synchronisierter - andere mitreißende Gewalt - gipfeln, so der Gewaltforscher Menno Baumann. Ich kenne das Phänomen aus meiner Jugend im Osten, wo junge Nazis Jagd machten, auch auf die Polizei. Oder erinnern wir uns an Hooligangewalt während der Fußball-WM ‘98 oder der Querdenker:innen-Aufmärsche.

Dass dabei Menschen in Uniformen nicht als echte Personen gelesen werden, sondern als entpersonalisierte Angriffsziele, folgt einer irritierenden Logik. Und dass Uniformen diese doch schon schützen, dieses „magische Denken“, dass eigene Gewalt rechtfertigt, ist so problematisch wie vielfach nachgewiesen.

Wenn wir also über Konsequenzen reden, dann sollten wir es uns nicht zu einfach machen. Es bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, dem Phänomen zu begegnen. Das können einfache Lösungen sein: Die Kombination aus männlichen Heranwachsenden, übermäßigem Alkoholkonsum und Sprengstoffen ist nie eine gute Kombination, an keinem Tag im Jahr.

Das können aber auch komplexe Antworten sein. Etwa die Unmittelbarkeit von Konsequenzen, die auch bedeuten können, Sozialstunden bei Rettungs- und Einsatzkräften abzuleisten. Wir reden aber auch über die Verstärkung der Sozialarbeit in Quartieren und den Kampf gegen Gewalt in Familien, die effektivsten Strategien gegen Straßengewalt, so Baumann.

Und wir reden über die Erhöhung der Präsenz von Einsatzkräften im Alltag. Über noch bessere Unterstützung der Feuerwehren bei ihrer wichtigen Jugendarbeit, des THW, über Erste-Hilfe-Kurse in Kitas & Grundschulen, über Kontaktbeamt:innen. Jede positive Präsenz von Menschen, die als Einsatzkräfte arbeiten, senkt die angesprochene Anonymisierung!

Kurzum, wir stehen eher am Anfang einer wichtigen Debatte und sollten nicht glauben, die fertigen Antworten könnten wir schon heute in Entschließungsanträge gießen. Auch das wäre magisches Denken. Also nehmen wir uns die Zeit, machen uns die Mühe, das Thema umfassend zu diskutieren und bringen zur Anwendung, was wir schon haben. Das sollte uns die Sicherheit unserer Rettungs- und Einsatzkräfte wert sein.

Denn Sie sind es, die für unsere Sicherheit garantieren und in der vordersten Linie Demokratie und ihre Institutionen repräsentieren und verteidigen zugleich.

Also lassen Sie uns in Ruhe diskutieren und dabei ein Umberto Eco zugeschriebenes Bonmot beherzigen: "Für jedes komplexe Problem gibt es eine einfache Lösung, und die ist falsch."

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