Antrag: Erweiterung der Polizeilichen Kriminalstatistik und weiterer polizeilicher Lagebilder
Fraktion der SPD
Fraktion Bündnis 90 Die Grünen
Der Landtag wolle beschließen:
Entschließung
Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) und die polizeilichen Lagebilder enthalten die der Polizei bekannt gewordenen Straftaten einschließlich der mit Strafe bedrohten Versuche, die Anzahl der ermittelten Tatverdächtigen und eine Reihe weiterer Angaben zu Fällen, Opfern oder Tatverdächtigen. Dabei bildet die PKS lediglich bekannt gewordene Fälle ab, die polizeilich bearbeitet wurden, also das sogenannte statistische Hellfeld. Aber bereits im Hellfeld ist die Abbildung einzelner Kriminalitätsphänomene, die immer wieder Gegenstand öffentlicher Debatten sind, nur sehr eingeschränkt möglich.
Jüngstes Beispiel ist der Themenkomplex Gewalt gegen Einsatz- und Rettungskräfte, zu dem derzeit noch keine umfassende statistische Erfassung in einem Lagebild vorliegt. Dieses aber wird benötigt, um diese Delikte umfassend, nachhaltig und angemessen einzuordnen und zu bekämpfen. Auch zu geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichteten Straftaten[1] fehlt derzeit eine adäquate statistische Erfassung. Dies gilt zuvorderst für tödliche Gewalt durch Partner oder Ex-Partner, vielfach unter dem Begriff des Femizids subsummiert – allein in Niedersachsen ereigneten sich im Jahr 2022 insgesamt 23 vollendete Mord- und Totschlagsdelikte, die als „Häusliche Gewalt“ gekennzeichnet waren. Dies gilt aber auch für weitere spezifisch gegen Frauen gerichtete Delikte. Überdies haben in den vergangenen Jahren Gewalttaten gegen Journalist*innen deutlich zugenommen, insbesondere im Rahmen sogenannter „Querdenker“-Demonstrationen.[2] Gleiches gilt für Angriffe auf queere Menschen.[3] Queere Personen bilden keine homogene Gruppe und erfahren daher oft Mehrfachdiskriminierungen und damit einhergehende Hasskriminalität.
Um ein ganzheitliches und alle in Rede stehenden Kriminalitätsphänomene darstellendes Lagebild zu bekommen und daraus handlungsleitende Maßnahmen generieren zu können, ist es notwendig – neben der Erstellung von Dunkelfeldstudien in den genannten Gebieten – auch das Hellfeld besser auszuleuchten.
Deshalb erscheint es dringend geboten, die PKS bzw. die Lagebilder in diesen Bereichen zu erweitern, um auf einer besseren Datenbasis diese spezifischen (Gewalt-)Taten besser und zielgenauer zu erfassen und auch die damit einhergehende Hasskriminalität besser abbilden zu können.
Der Landtag bittet die Landesregierung,
- Gewalttaten gegen Rettungs- und Einsatzkräfte in einem Lagebild des Landes Niedersachsen künftig gesondert zu erfassen,
- sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, eine bundesweit einheitliche, tiefergehende statistische Erfassung von geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichteten Straftaten, queerfeindlichen Straftaten bzw. Straftaten, die sich gegen die Geschlechtsidentität und/oder gegen die sexuelle Orientierung richten, zu erwirken und Anpassungsbedarfe in der PKS und der PMK zu prüfen.
- sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass auch Angriffe auf Journalist*innen in der PKS aufgenommen und abgebildet werden,
- sich darüber hinausgehend auf Bundesebene für die Initiierung von Forschungsvorhaben und Studien einzusetzen, die das Dunkelfeld in den genannten Phänomenbereichen aufhellen können.
Begründung
Gewalt gegen Rettungs- und Einsatzkräfte, die erschreckend hohe Zahl an Femiziden, die zunehmende Gewalt gegen Journalist*innen und Angriffe auf queere Menschen sind in einer freiheitlichen und solidarischen Demokratie nicht hinnehmbar. Debatten dazu zeigen aber immer wieder, dass hier zu wenig gesichertes Wissen über die Häufigkeit solcher Angriffe vorliegt oder aber nicht adäquat erfasst werden kann.
Dies kann zum einen dazu führen, dass über solche Phänomene auf einer wenig gesicherten Grundlage spekuliert wird oder aber spezifische Tatmotive nicht hinreichend gesichert erfasst werden. Dabei ist zumindest die Seite der erfassbaren Delikte dazu geeignet, Debatten und notwendige Ableitungen einerseits auf eine stärker abgesicherte Datengrundlage zu stellen. Andererseits könnte eine bessere Erfassung auch dafür sorgen, dass diese spezifischen Formen von Gewalt und Hasskriminalität sichtbarer gemacht würden, um hieraus Ansätze zur Bekämpfung dieser Tatbestände abzuleiten, aber auch auf empirisch fundierter Basis Hinweise auf Möglichkeiten der Prävention zu erkennen.
Hierfür ist neben einer Erweiterung der statistischen Erfassung in der PKS bzw. in polizeilichen Lagebildern zielführend, dass das Dunkelfeld über Studien und Forschungsvorhaben stärker aufgeklärt wird, um mögliche Hemmschwellen hinsichtlich der Anzeigebereitschaft zu identifizieren sowie abzubauen und damit das Hellfeld zu vergrößern.
[1] „Der Begriff "geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen" [...] bezeichnet eine Form von Gewalt, die
gegen eine Frau gerichtet ist, weil sie eine Frau ist, oder die Frauen unverhältnismäßig stark betrifft.
Sie unterscheidet sich dadurch von anderen Formen von Gewalt, dass das Geschlecht des Opfers das
Hauptmotiv für die [...] Gewalttaten ist [...] und stellt sowohl die Ursache als auch die Folge ungleicher
Machtverhältnisse dar, die auf zwischen Männern und Frauen wahrgenommenen Unterschieden
beruhen und zur Unterordnung der Frau in öffentlichen und privaten Bereichen führen.“ (Istanbul-Konvention, Erläuternder Bericht, Art. 3, Ziff. 44, S. 47)
Leon Holly: Zahl der Angriffe auf Medienschaffende in Deutschland nimmt stark zu, in: Zeit online, 12.03.2023, URL: www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2023-03/angriffe-journalisten-gestiegen-hoechstwert-presse.
O.V., Zahl der queerfeindlichen Straftaten explodiert weiter, in: queer.de, 30.03.2023, URL: www.queer.de/detail.php.