Michael Lühmann: Rede zu Gewalt im Stadion (Akt. Stunde SPD)
TOP 37a: Gewalt im Stadion – Vereine in die Verantwortung nehmen (Akt. Stunde SPD)
- Es gilt das gesprochene Wort -
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleg:innen,
Es ist der Abend des 16. Oktober 1987, der BFC Dynamo Berlin erleidet - so wird es das „Neue Deutschland“ am nächsten Tag vermelden - im Halleschen Kurt-Wabbel-Stadion „eine Punkteinbuße“. Kein großes Thema jedenfalls, dass der von der SED protegierte Dauermeister der DDR mal nicht zum Sieg gepfiffen wurde. Was aber auch kein Thema im ND ist: Die Hitler-Grüße, Heil-Hitler Rufe, die im Stadion zu hören waren. Die Vereine schweigen. Noch am Abend überfallen dann rechte Hools ein Punk-Konzert in der Ost-Berliner Zionskirche, verprügeln Punks & Polizei mit Eisenstangen.
Viele Jahre später sehen wir in vielen Stadien des Ostens eskalierende rechte Gewalt, Pegida, Legida, gewaltvolle Hetzjagden in Chemnitz bei einem Aufmarsch von AfD und rechter Szene und jüngst eine Choreographie im Block von Hansa Rostock, der das Pogrom von Rostock Lichtenhagen auf üble Weise feierte. Und die Vereine schweigen. Und dann sehen wir die massiv eskalierende Gewalt beim Niedersachsen-Derby – zwischen Fangruppierungen und gegen die Polizei. Und die Vereine, immerhin, sie reden inzwischen. Wie hängt das alles zusammen, warum die lange Herleitung? Weil wir hier zwei Dinge sehen, die einen engen, scheinbar unauflösbaren Zusammenhang schaffen.
Zum einen das, was der Gewaltforscher Jan Phillipp Reemtsma Entsublimation nennt: Eine rituelle Form von Gewalt, die sich gegen die Insignien der bürgerlichen Gesellschaft entäußert. Also kollektive, rauschhafte Gewalt, die sich wahlweise gegen die Kommerzialisierung des Fußballs richte und auch gegen die Polizei als Träger des staatlichen Gewaltmonopols. Und was wir überdies sehen, ist eine Indifferenz von Vereinen, DFL & DFB gegenüber dieser rituellen Gewalt, die nicht unzufällig an Militanz erinnert, an uniformiert auftretende, bisweilen gewaltvolle Unbedingtheit, häufig ausgeübt durch junge, männliche, meist alkoholisierte Männer, nicht selten mit Böllern in der Hand. Das ist im Stadion wie an Silvester eine ungute Mischung.
Es ist für die Debatte wichtig, diese Ursachen zu verstehen, um darauf reagieren zu können, gerade in den Vereinen. Dabei geht es nicht um Relativierung, sondern um Verstehen. Denn eines muss doch klar sein. Solche Eskalationen und solche Gewalt können und werden wir nicht akzeptieren. Dass der DFB zur Mäßigung gegenüber der Polizei aufruft und nicht zum Gewaltverzicht, dass zu viele Vereine jahrelang weggeschaut haben, das können wir nicht tolerieren. Es mag ja stimmen, dass ein massives Polizeiaufgebot solche Entsublimationsgewalt mit hervorruft, wie die Militanz- und die Fanforschung sagt.
Aber, meine Herren, es sind ja meistens Herren: Wenn man keine Polizei im und am Stadion haben will, dann schmeißt man keine Böller in andere Blocks, dann bewirft man nicht prekär beschäftigte Mitarbeitende von Sicherheitsdiensten mit Böllern und Gegenständen, dann wirft man nicht mit Stühlen, dann prügelt man keine Polizisten und keine gegnerischen Fans.
Und liebe Vereine, dann nimmt man das Phänomen endlich ernst, positioniert sich klar und sorgt real für mehr Sicherheit im Stadion. Und dann nimmt man von dem vielen Geld, das man für dieses Werbeevent namens Fußball einnimmt, viel in die Hand, stärkt die Sicherheit vor Ort und unterstützt deeskalierende Fanprojekte und Stadionallianzen, investiert in Sozialarbeit und Konfliktmanagement, statt darauf zu bauen, dass Polizei regelt.
Und so bin ich dankbar, dass unsere Innenministerin auf der Innenminister:innenkonferenz für klare Worte und Beschlüsse gesorgt hat und teile die Haltung, dass als Ultima Ratio Polizeieinsätze die Vereine Geld kosten müssen. Aber mein größter Wunsch ist, dass Fans und Vereine das endlich gemeinsam hinbekommen in Sicherheits- & Stadionallianzen, damit sportbegeisterte Fans, Familien und eben auch Polizist:innen als Privatmenschen ein Fußballspiel genießen können. Und nicht unterlassene Haltung, versäumten Dialog & Gewaltphantasien einiger Fans mit voller Wucht ab