Antrag: Niedersachsen ist und bleibt wehrhaft - Rechtsextreme Straftaten konsequent bekämpfen und einordnen, Aufklärung über rechtsextremistische Bedrohungen vorantreiben und Sicherheitsbehörden stärken!
Fraktion der SPD
Fraktion Bündnis 90 Die Grünen
Der Landtag wolle beschließen:
Entschließung
Die größte Bedrohung für unsere Demokratie geht eindeutig vom Rechtsextremismus aus. Vor dieser Gefahr, die bis hinein in die Parlamente ragt, warnen sowohl das Bundesamt für Verfassungsschutz, unser Niedersächsischer Verfassungsschutz und viele Landespolizeipräsidentinnen und -präsidenten. Der Rechtsextremismus und ihm verwandte Formen der Delegitimierung unseres Staates drücken sich heute in vielfältigen Strukturen aus, was am Beispiel der Szene der Reichsbürger/Selbstverwalter (und hier insbesondere durch die terroristische Vereinigung um Prinz Reuß) deutlich wird, aber auch in Formen alltäglicher gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit aus der breit aufgefächerten rechten Szene. Es ist daher ein sehr wichtiges und unterstützenswertes Signal, dass Hunderttausende Bürger*innen in den vergangenen Wochen auf die Straße gegangen sind und deutlich gemacht haben, dass sie sich wehren gegen mögliche Deportationspläne, aber auch ganz allgemein gegen eine Politik des Rassismus, des Hasses und der Menschenfeindlichkeit.
Angesichts des Ausmaßes dieser Bedrohung ist es essenziell, dass sich die Zivilgesellschaft wehrt und dabei auch aus der Politik klare Signale der Unterstützung erhält. Die Unterstützung zivilgesellschaftlichen Engagements und zivilgesellschaftlicher Initiativen, die Stärkung von Gedenkstätten und politischer Bildung, die Erarbeitung eines Landesdemokratiefördergesetzes weisen hier in die richtige Richtung. Aber auch unser demokratischer Rechtsstaat muss sich weiterhin als wehrhaft erweisen. Denn neben aufgeklärten und politisch interessierten Bürger*innen, die der beste Verfassungsschutz sind, braucht es zwingend auch robuste und der Bedrohungslage angemessen aufgestellte Sicherheitsbehörden. Dies gilt für Ausstattung wie auch für die Bandbreite von Eingriffsmöglichkeiten.
Überdies braucht es für eine konsequente Bekämpfung rechtsextremistischer Straftaten eine entsprechende klare Einordnung dieser Taten. Hinsichtlich des letztgenannten Punktes ist festzustellen, dass in der Statistik zur Politisch motivierten Kriminalität (PMK) ein erheblicher Teil der Taten als „sonstige Zuordnung“ eingruppiert wird, so insbesondere Taten aus der diffusen, dem Rechtsextremismus nicht selten verwandten Mischszene der Reichsbürger/Selbstverwalter, Verschwörungstheoretiker und Delegitimier. Dies bedarf zwingend einer Überprüfung und einer Abstimmung auf Bundesebene, da die Erfassungskriterien und -standards bundeseinheitlich definiert und festgelegt werden.
Um zu verhindern, dass Menschen, insbesondere Heranwachsende, rechtsextremistischer Propaganda erliegen, sind gleichzeitig Maßnahmen zur Demokratieförderung, Prävention, Aufklärung und Erforschung rechtsextremistischer Bedrohungen notwendig. Hierbei spielt u.a. die Forschungs- und Dokumentationsstelle zur Analyse politischer und religiöser Extremismen in Niedersachsen (FoDEx), die Ende 2016 ihre Arbeit aufgenommen hat und mit jährlich 800.000 Euro aus dem Landeshaushalt gefördert wird, eine zentrale Rolle. Der im Jahr 2021 durch FoDEx veröffentlichte „Niedersächsische Demokratie-Monitor“ zu den Einstellungen in der Bevölkerung zu Politik, Demokratie und Gesellschaft ist ein Beispiel der wichtigen Arbeit dieser Forschungsstelle.
Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, soll durch FoDEx zudem wissenschaftlich überprüft werden, inwiefern bei in der Vergangenheit begangenen Morden ein rechtsextremes Tatmotiv zu Grunde gelegen haben könnte und ob die Statistik zu rechten Morden in Niedersachsen mit den heutigen Kenntnissen und Markern aufgrund einer wissenschaftlichen Überprüfung korrigiert werden sollte. Von der aus Landesmitteln geförderten Mobilen Beratung wurde eine Wanderausstellung eröffnet, in der Fälle identifiziert wurden, die einen wissenschaftlichen Überprüfungsbedarf hinsichtlich der Einordnung als rechte Morde auch in Niedersachsen nahelegen. Auch die Amadeu Antonio Stiftung weist auf diese Diskrepanz zwischen offiziellen Todeszahlen rechter Gewalt und den von der Zivilgesellschaft erhobenen Zahlen hin. Der NSU-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages hat dazu entsprechende Empfehlungen zur Anpassung der Statistik der Politisch motivierten Kriminalität erarbeitet, dessen Umsetzung geprüft werden sollte. In diesem Zusammenhang sollte auch die Erarbeitung eines Gesamtberichts mit einer tiefergehenden Erforschung der verabscheuungswürdigen Taten des NSU und seiner Verbindung nach Niedersachsen beispielsweise durch FoDEx erwogen werden.
Vor diesem Hintergrund bittet der Landtag die Landesregierung:
- die Bekämpfung und Verfolgung rechtsextremistischer Straftaten weiter konsequent voranzutreiben, die Polizei und den Verfassungsschutz bei Personal und Sachmitteln im Kampf gegen Extremismus sachgerecht auszustatten sowie die Aus- und Fortbildung unserer Sicherheitsbehörden im Bereich rechtsextremer und demokratiefeindlicher Bestrebungen weiter zu stärken,
- die bestehenden Befugnisse des Niedersächsischen Verfassungsschutzes auch vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedrohung unserer Demokratie durch das rechtsextremistische Spektrum kritisch zu überprüfen und notwendige Anpassungen des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes zu identifizieren
- sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass eine Überprüfung der statistischen Kriterien der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) insbesondere im Hinblick auf die Zunahme der Straftaten im Phänomenbereich „sonstige Zuordnung“ zeitnah durchgeführt wird und dabei auch die Abschlussempfehlungen des ersten NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages zur PMK-Erfassung berücksichtigt werden,
- die Förderung von FoDEx durch Haushaltsmittel des Landes fortzuführen, um so u.a. die baldige Überprüfung und Neubewertung zurückliegender Morde und Straftaten mit mutmaßlich rechtsextremistischem Hintergrund, die jedoch nicht als solche erfasst wurden, durch FoDEx zu ermöglichen und überdies die Erstellung eines Gesamtberichts zu den Verbindungen der Taten des NSU nach Niedersachsen prüfen zu lassen,
- Studien zur Erforschung der Einstellungen von Bürgerinnen und Bürgern zu Demokratie und Extremismus wie beispielsweise den durch FoDEx regelmäßig erstellten Demokratie-Monitor weiterhin zu fördern bzw. anzuregen, auch hinsichtlich der Erfolgsbedingungen gelebter Demokratie, der Stärkung demokratischer Resilienz, der Förderung von Vielfalt und Teilhabe an demokratischen Prozessen und des Verständnisses für demokratische Verfahren und Institutionen.
Begründung
Wie in der Einleitung dargelegt, stellt der Rechtsextremismus in seinen unterschiedlichen Ausprägungen in Deutschland und in Niedersachsen die größte Gefahr für unsere freiheitlich demokratische Grundordnung dar. Um Rechtsextremismus zu bekämpfen, braucht es – neben einer Stärkung der demokratischen Resilienz in allen Bereichen der Gesellschaft, der Förderung der Zivilgesellschaft, umfassender schulischer und außerschulischer historischer und politischer Bildung – auch eine sachgerechte Stärkung der Sicherheitsbehörden als deutliches Zeichen unserer wehrhaften Demokratie. Insbesondere der Verfassungsschutz spielt als Frühwarnsystem eine entscheidende Rolle zur Identifizierung extremistischer und verfassungsfeindlicher Entwicklungen. Für diese Aufgabe benötigt der Verfassungsschutz neben einer ausreichenden personellen und sächlichen Ausstattung auch entsprechende Befugnisse, die im Nds. Verfassungsschutzgesetz festgelegt sind und bei denen geprüft werden muss, ob diese für die Praxis ausreichen. Auch das Thema Aus- und Fortbildung im Bereich Extremismusprävention und demokratische Resilienz für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Sicherheitsbehörden ist ein wichtiger Faktor und sollte in diesem Zusammenhang weiter ausgebaut werden.
In der Form, wie sich die extreme Rechte ausdifferenziert hat, rechte Einstellungsmuster weit in die Mitte der Gesellschaft hineinragen, der alle menschenfeindliche Ideologien verbindende Antisemitismus wieder deutlicher sichtbar wird, bedarf auch die Erfassung rechter und rechtsextremistischer Straftaten einer Überprüfung. Zum einen sollten die Erfassungskriterien der Politisch Motivierten Kriminalität auf den Prüfstand gestellt werden, insbesondere vor dem Hintergrund, dass ein großer Teil der erfassten Taten in die Kategorie „nicht zuzuordnen“ eingruppiert wurde. Zum anderen sollte auch die Erfassung zurückliegender Straftaten und insbesondere Morde mit mutmaßlich rechtsextremistischem Hintergrund untersucht werden, damit eine mögliche Anerkennung als Opfer rechter Gewalt auch für die Angehörigen erfolgen und eine Stärkung der Erinnerungskultur ansetzen kann. Hier wäre ein strukturiertes Vorgehen mit einer wissenschaftlichen Beauftragung von FoDEx – wie im Koalitionsvertrag vereinbart – sinnvoll, die in diesem Kontext auch tiefergehend über die Verbindungen des NSU nach Niedersachsen forschen könnte. Dafür wäre es in einem ersten Schritt notwendig, die Förderung von FoDEx seitens Landesregierung zu verlängern. Weitere Arbeitsschwerpunkte von FoDEx wie die Erstellung eines neuen Demokratie-Monitors könnten durch eine Verlängerung der Förderung fortgeführt werden.